Leuchtturm

Fotodesign
9 Semester
Aufgabenstellung: 
Freier Text zu einem frei wählbaren Thema

Freier Text im Rahmen des Projekts "Bilder im Kopf" von Prof Knut Karger

 

Der Leuchtturm

Mit knorrigen Gliedern schnauft der alte Leuchtturmwärter die 253 schmalen und zu Kuhlen ausgetreten Stufen bis zur Spitze des Leuchtturms empor. Sooft hat er sie erklommen, das eine Zahl jenseits seiner Vorstellungskraft liegt. Gedankenverloren öffnet er die Metalltür zur Kuppel und sein Blick schweift die Inschrift, die in einer ihm fremden Sprache oberhalb in den Stein geschlagen ist - sang réal. Die Jahre der Einsamkeit haben ihn immer buckliger und eingefallener werden lassen, doch das Strahlen seiner grauen, durchdringenden Augen ist ihm geblieben. Schon als kleiner Junge blickte er stets ehrfürchtig zur Spitze des Leuchtturms empor, wenn er mit den Mönchen auf Wanderschaft durch die umliegenden Täler war, die sich dort die Probleme und Ängste der Menschen anhörten und das Wort Gottes verkündeten. Seine Eltern hatte er nie kennengelernt und auch die Umstände, wie er im Alter von 3 Jahren in die Obhut des Klosters kam verblieben im Dunst der Vergangenheit. Oben angekommen stellt er den Koffer mit seinem altgedienten Werkzeug mit einem metallenen klakkern auf die grob gezimmerte Werkbank, die er vor circa 25 Jahren zu ebendiesem Zweck dort positioniert hat. Er muss sich beeilen, denn die Nacht kündigt sich bereits durch die goldgelbe Sonne an, die sich immer weiter in Richtung der zackigen und schroffen Bergkette am Horizont neigt. Er öffnet den Koffer und holt eine dick isolierte Zange heraus und löst mir einer kurzen und kräftigen Bewegung die Schraube, die den defekten Brenner festhält und befördert ihn mit einem lauten klirren in eine große Kiste, wo er sich zu einem ganzen Stammbaum seiner Vorgänger gesellt. Aus dem Ersatzteilregal Oberhalb des Tisches nimmt er eine rechteckige Holzkiste, durchtrennt das Siegel des Herstellers und öffnet behutsam den Deckel. Er streift ein paar Samthandschuhe über und holt liebevoll, fast liebkosend den großen Glaszylinder aus der Kiste und setzt ihn an den Platz seiner Bestimmung. Er zieht die Schraube wieder fest, legt die Zage zurück in seinen Koffer und klappt ihn zu. Zufrieden tritt er aus der Tür, auf den ummauerten Ausguck des Leuchtturms und blickt auf das Bergpanorama, das ihn umgibt. Nie hatte er das Meer gesehen. Die Sonne versinkt nun endgültig hinter der Bergkette und mit einem lauten, elektrischen Surren startet der Elektromotor, der das Rondell des Leuchtturms langsam in Bewegung bringt. Befriedigt blickt der Leuchtturmwärter, wie das Licht des Brenners zu glimmen beginnt und der Leuchtturm seinen Betrieb aufnimmt. Regungslos steht er da und blickt gedankenverloren in die Immer schwärzer werdende Nacht und lauscht dem Surren des Motors und den weit enfernten Glocken der Kühe unten im Tal. Nachdem das Licht des Leuchtturms zu grell geworden ist, steigt er die 253 Stufen hinab und läuft die 200m zu seiner kleinen Hütte. Ein letztes Mal blickt er hinauf und beobachtet den sich bewegenden Lichtkegel. Doch kein Schiff wird dies Licht je sehen, kein Schiff je von seinem Licht sicher durch den Sturm geleitet werden. Der Leuchtturm bleibt Zeit seines Lebens unbemerkt und ungebraucht.